Im Interview Wolfgang Flür (Ex-Kraftwerk ) – „Ich war kein Roboter – ich war ein Mensch“

„Ich war kein Roboter – ich war ein Mensch.“
Ein Gespräch mit Wolfgang Flür über Vergangenheit, Gegenwart und elektronische Zukunft

Mit Kraftwerk schrieb Wolfgang Flür Musikgeschichte. Heute, mit fast 80 Jahren, steht er wieder auf den Bühnen Europas – mit einer multimedialen Liveshow und einem politischen Album, das mehr sein will als Unterhaltung. Ravepedia hat den Elektronikpionier im Ruby Luna Hotel in Düsseldorf getroffen.

(c) Wolfgang Flür

Ravepedia: Herr Flür, Ihr aktuelles Live-Set unterscheidet sich stark von klassischen DJ-Auftritten. Was erwartet das Publikum auf der „Times“-Tour?

Wolfgang Flür: Es ist keine typische Clubnacht – es ist eher eine Mischung aus Konzert, Erzählung und Kino. Wir bringen tanzbare Versionen von Tracks meiner letzten beiden Alben, aber auch Überarbeitungen älterer Werke. Alles visuell unterlegt, mit aufwändigen Videos, die ich gemeinsam mit meinem Partner Peter Duggal entwickle – oder selbst schneide. Auch meine Frau filmt jede Show. Ich nenne das „Cinema & Music“. Kein Knöpfchendrücken. Wir erzählen Geschichten.

Ravepedia: Wie entstand diese besondere Form der Performance?

Flür: Eigentlich wollte ich nie DJ werden. Aber 2003 kam ein befreundeter Musiker mit einem Clubbetreiber aus Berlin ins Gespräch – der meinte nur: „Der muss gar nichts machen, nur auf der Bühne stehen – die fressen ihn.“ Da habe ich’s einfach ausprobiert. Anfangs hatte ich nur einen Track – meine gesungene Version von I Was a Robot. Dann kamen Remixe, erste Sets, später Videos. Es war ein langsames Wachsen. Heute habe ich ein Programm, mit dem ich durch die Welt reise – und das Publikum bekommt mehr als nur Beats.

Ravepedia: Und gerade in England laufen Ihre Shows besonders gut…

Flür: Dort bin ich fast überall ausverkauft. Die Briten haben eine große Offenheit für elektronische Musik, aber auch für Konzepte, die mehr Tiefe haben. In Deutschland ist es schwieriger. Viele verbinden meinen Namen immer noch ausschließlich mit Kraftwerk – und sind dann überrascht, dass meine Musik ganz anders klingt.

Ravepedia: Stichwort Vergangenheit: Ihr Album Magazine 1 enthält nicht nur tanzbare Stücke, sondern auch politisch klare Botschaften. „Say No!“ basiert auf einem Text von Wolfgang Borchert. Wie kam es dazu?

Flür: Borchert hat mich mein Leben lang begleitet. Ich verehre ihn. Sein Text „Dann gibt es nur eins!“ ist eine eindrucksvolle Antikriegserklärung. Ich wollte das unbedingt vertonen. Das Stück eröffnet meine Show – mit einem Video, in dem ein Junge in Pickelhaube zu sehen ist, ein erschütterndes Bild aus den 1920ern. Es ist ein stiller Moment vor dem Sturm. Danach beginnt erst die Musik. Die Leute stehen da, wie bei einem Gottesdienst.

Ravepedia: Sie bezeichnen sich selbst als „Musiksoldat“. Was steckt hinter diesem Begriff?

Flür: Den hat meine Frau erfunden – weil ich beim Soundcheck wie ein Soldat marschiert bin. Und dann haben wir gesagt: Okay, dann bin ich eben ein Musiksoldat – aber für den Frieden. Ich kämpfe mit Tönen, nicht mit Waffen. Diese Haltung ist für mich nicht verhandelbar. Solange Trump oder ähnliche Gestalten Einfluss haben, spiele ich nicht in den USA.

(c) Wolfgang Flür

Ravepedia: Ihr neues Album Times ist voller Kooperationen – Juan Atkins, Peter Hook, Boris Blank. Wie kam es zu diesen Zusammenarbeiten?

Flür: Vieles passiert zufällig. Mit Juan Atkins habe ich über seine alten Tracks gesprochen, besonders Track Ten – das mochte ich sehr. Daraus entstand eine neue Nummer, mit seinem typischen Bass. Boris Blank wollte ich schon lange einbinden, weil ich seine Soloarbeiten fast noch spannender finde als Yello. Aber er hat lange gebraucht. Am Ende hat er ein ganzes Klangbild beigesteuert – für Global House, ein Stück über unsere Erde und die Jugend, die sie verteidigt. Das ist für mich eines der schönsten auf dem Album.

Ravepedia: Und dann gab es ja noch diesen kuriosen Vorfall mit dem vermeintlichen Daft-Punk-Mitglied…

Flür (lacht): Ja, da bin ich voll drauf reingefallen. Ich habe über Monate mit jemandem kommuniziert, der sich als Thomas Bangalter ausgab. Der Kontakt klang echt – mit Kenntnissen, die man nicht googeln kann. Wir haben gemeinsam an einem Stück gearbeitet. Später kam raus: Das war ein Hochstapler. Wir mussten den Track umarbeiten, seinen Namen von der Platte nehmen. Aber hey – es war trotzdem gute Musik. Und es hat für ordentlich Medienrummel gesorgt (lacht).

Ravepedia: Sie sagen, dass Musik auch Humor und Menschlichkeit braucht. Das war bei Kraftwerk ja nicht unbedingt der Fall, oder?

Flür: Kraftwerk hatte seine Ästhetik – kühl, reduziert, fast entmenschlicht. Ich bin da anders. Ich bin ein Geschichtenerzähler. Meine Musik darf zynisch, witzig oder romantisch sein. Ich bin mit südamerikanischen Rhythmen aufgewachsen. Samba, Mambo, Rumba – das steckt in mir. Diese Mischung aus emotionaler Melodik und elektronischem Klang ist meine Handschrift.

Ravepedia: Sie haben sich mit einigen ehemaligen Weggefährten ausgesprochen, auch mit Emil Schult und Florian Schneider. War das wichtig für Sie?

Flür: Sehr. Emil und ich haben uns auf einer Ausstellung wieder angenähert. Wir haben das Kriegsbeil begraben. Und mit Florian gab es eine letzte, innige Umarmung, kurz bevor er starb. Ich sagte ihm: „Danke für 15 wunderbare Jahre.“ Wir waren keine Maschinen – das waren Rollen, die wir spielten. Wir waren Freunde.

Ravepedia: Sie haben sich das Recht erstritten, auf Plakaten als „Ex-Kraftwerk“ aufzutreten. Aber gleichzeitig scheint es Sie zu stören.

Flür: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Die Veranstalter wollen das – wegen des Marketings. Aber ich habe mich längst emanzipiert. Die Musik, die ich heute mache, ist etwas anderes. Klar, ohne Kraftwerk gäbe es mich als Musiker wohl nicht. Aber ich will als Wolfgang Flür wahrgenommen werden, nicht als „Ergänzungsteil einer Legende“.

Ravepedia: Was dürfen wir in Zukunft von Ihnen erwarten?

Flür: Solange ich atme, mache ich Musik. Vielleicht kommt noch ein Album, vielleicht auch zwei – wer weiß? Aber sie werden von mir sein. Mit meinem Sound, meinen Geschichten, meinem Blick auf die Welt. Und hoffentlich mit einem Publikum, das zuhört.

Wenn ihr Wolfgang Flür live sehen wollt, dann kommt am 31.Mai 2025 zu #Expo 2000 Revisited“ im Peppermint Pavillon, dort präsentiert er sein neues Album „Times“. Mehr Infos zum Event unter https://www.expo-park-hannover.eu/2025/04/04/expo-2000-revisited-31-maerz-1-juni-expo-park-hannover/

 Um einen Eindruck davon zu bekommen wie es ist Wolfgang Flür Live zu erleben, checkt hier einen Ausschnitt aus seiner Show im Club 229 in London aus -> zur Show

Hört auch mal unbedingt in Wolfgang Flürs Album „Times“ rein, ihr findet es hier auf Amazon*.

Vielen Dank Wolfgang, für diese Reise durch die Musikgeschichte!